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Fotografien zeigen meist mehr als man sieht.
Hinter dem „schönen Schein“ klarer Strukturen und warm leuchtender Farben verbirgt sich in diesen Fotografien – erst bei genauerer Betrachtung erkennbar – eine gnadenlose Industrialisierung weiter Teile eines der größten Feuchtgebiete Europas mit bedeutenden Ökosystemen. Weite Flächen des Po Delta sind im vergangenen Jahrhundert trocken gelegt und intensiver landwirtschaftlicher Nutzung zugeführt worden. Erst 1996 ist in den küstennahen Bereichen und Lagunen ein Naturpark eingerichtet worden. Die größten Flächen sind aber von der Agrarindustrie ausgeräumt. Frühere Höfe stehen verlassen auf den Feldern und verfallen langsam. Riesige Speicher türmen sich an den Landstraßen. Menschen und Tiere sind kaum zu sehen.
Aquädukte in Rom – wie leben die Menschen dieser Stadt mit den Resten der gewaltigen Aquädukte aus römischer Zeit? Zwei Wochen lang bin ich im September 2013 ihren Spuren vom Zentrum bis an den Stadtrand zur Grande Raccordo Anulare gefolgt. Ein anderes Rom zeigt sich dort, fern vom Tourismus und gelassen im Umgang mit der Antike.
Rom verfügte in der Antike über zahlreiche Aquädukte, die die Stadt mit frischem Wasser aus bis zu fast 100 km entfernten Quellen versorgten. Vieles ist im Laufe der Zeit verloren gegangen, aber immer noch sind in den wuchernden Stadtteilen vereinzelte Überreste zu entdecken – oft eingezwängt zwischen Bahnlinien und Straßen, Hochhäusern und Gewerbegebieten. Auch Reste von alten Barackensiedlungen finden sich noch in den niedrigeren Bögen der langsam im ansteigenden Hügel „versinkenden“ Aquädukte. Die Menschen haben sich hier schon immer die Antike für ihren Alltag erobert. Pier Paolo Pasolini begegnet einem auf Schritt und Tritt.
Seit Jahrtausenden überlagern und überformen sich in Rom städtebauliche und kulturelle Schichten. Die archäologischen Stätten im Zentrum (Foro Romano und Palatino, Colosseo, Fori Imperiali, Terme di Caracalla u.a.) stellen die antike Zeitschicht frei und still, hübschen sie auf und zäunen sie ein. Aber was haben die Jahrunderte mit den antiken Monumenten in den lebendigen römischen Stadtteilen gemacht? Was ist geblieben und wie leben die Menschen heute damit? Wie kann ich die Synchronität von Antike und Gegenwart, von Bewahren und Nutzen bzw. Wandeln fotografisch fassen und nachvollziehbar machen? Wie fange ich die spezifische Atmosphäre dieser Gebiete ein? Das sind die Fragen, auf die ich Antworten gesucht habe.
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Anmerkungen zur Ausstellung:
„Grand Tour“ (Kavalierreise) war die Bezeichnung für Reisen der Söhne des europäischen Adels, später auch des gehobenen Bürgertums, durch Mitteleuropa, Italien, Spanien und auch ins Heilige Land, auf denen der jugendliche Adelige fremde Länder und Sitten kennenlernen sollte. Die Bürger achteten später eher auf den Bildungs- und Nutzwert ihrer Reise. Auf diesen »Bildungsreisen« durch das sonnige Italien absolvierte man ein obligatorisches Ausbildungsprogramm, das zu den klassisch antiken Städten, Kunstschätzen und Denkmälern führte. Schon Mitte des 19. Jahrhunderts, kurze Zeit nach Erfindung der Fotografie, standen deshalb Fotografien der Altertümer in hohem Kurs, um die Daheimgebliebenen an den Eindrücken der Monumente teilhaben zu lassen.
Heute stellt sich die Auseinandersetzung der Fotografen mit der Antike anders dar. Auf zwei wichtige deutsche Fotografen der Gegenwart möchte ich nur kurz hinweisen.
Michael Ruetz hat zwischen 1976 und 1997 aus Anlass mehrerer Aufenthalte in der Villa Massimo in Rom das Auge seiner Kamera vor allem auf die Aquädukte Roms als Zeugnisse der Ewigkeit gerichtet (Michael Ruetz, Eye on Eternity, 2007). Ruetz hat das Mit-, Gegen- und Nebeneinander von Antike und Gegenwart in dramatischen schwarz-weiß Fotografien ins Bild gesetzt.
Hier ist sonst schon niemand mehr zu Fuß unterwegs. Nur Schleichverkehr rast über die staubigen, rumpeligen Pisten. Das Gelände steigt langsam an und die Bögen des Aquäduktes „versinken“ langsam im Boden. Zur Linken eine Unterführung der breiten Schneise, die die Bahntrassen zwischen die Siedlungen geschnitten haben. Sie führt in einen alten Stadtteil des römischen Subproletariats, das Pigneto. Trotz des unaufhaltsamen Prozesses der kleinbürgerlichen Assimilation auch heute noch weitgehend in seiner Struktur intakt, ein quirliger, schmuddeliger, von Touristen noch unentdeckter, aber bei Studenten und Künstlern angesagter Szenestadtteil.
Ich muss an den ersten Film denken, den hier 1961 Pasolini drehte: „Accattone – Wer nie sein Brot mit Tränen aß“:
Vittorio Cataldi, genannt „Accattone“ („Bettler“ oder „Schmarotzer“), lebt in einer heruntergekommenen Vorstadt Roms. Nachdem er Frau und Sohn verlassen hat, verdient er als Zuhälter sein Geld. Tagsüber hängt er die meiste Zeit mit seinen Freunden herum, die dem gleichen Gewerbe nachgehen. Die Clique verbringt die Zeit mit Herumsitzen, Kartenspielen und sinnlosen Wetten.
Als Accattones einzige Hure, Maddalena, von einem Motorrad angefahren wird, zwingt er sie, trotzdem zu arbeiten. In dieser Nacht wird sie von einer konkurrierenden Bande aus Neapel zusammengeschlagen aus Rache dafür, dass sie ihren vorherigen Zuhälter Nero Ciccio ins Gefängnis gebracht hat.
So beginnt der Film, der ein riesiger Skandal wurde, aber Pasolini auch den internationalen Durchbruch bescherte.
Ich wandere die enge Via del Mandrione zwischen Aquädukt und Bahngleisen weiter hinauf. In den jetzt niedrigen Bögen finden sich noch Reste früherer Behausungen: leere Fensterkreuze in den zugemauerten Rückseiten, Putzreste, Wellblech, Kacheln und Fliesen früherer Küchen und Bäder. Bis in die 60er Jahre hinein haben hier bis hoch zum Quadraro Viertel vor allem obdachlose Zuwanderer aus dem Süden Italiens in schäbigen Barackensiedlungen, den sog. „tuguri“ gehaust (Link zu einem Foto).
Pasolini hat sich hier häufig aufgehalten. Er schreibt: „La pura vitalità che è alla base di queste anime, vuol dire mescolanza di male allo stato puro e di bene allo stato puro: violenza e bontà, malvagità e innocenza, malgrado tutto.“ [Pier Paolo Pasolini, „Vie Nuove“, maggio 1958]
Plötzlich finde ich mich vor einem vergitterten mannshohen Bogen des Aquäduktes, auf dessen Rückwand neben einem kleinen Fensterloch eine erschossene, nackte junge Frau gemalt ist, die im Dreck auf dem Boden hockt und ihren Kopf auf der Sitzfläche eines neben ihr stehenden einfachen Stuhls liegen hat. Ein bestürzendes Bild.
Und erneut kommt Pasolini ins Spiel. In seinem letzten Film „Saló o le 120 giornate di Sodoma“ (dt.: Die 120 Tage von Sodom) aus dem Jahr 1975, zeigt uns Pasolini zum Schluss nach einem mörderischen Kopfschuss für 1 oder 2 Sekunden genau diese Szene. Wer hat sie hierhin versetzt?
Pasolini lehnt sich in diesem Film an de Sade und an Dantes Inferno an und zeigt die Höllenkreise der Leidenschaft, der Scheiße und des Blutes.
Der Film gilt bis heute als eines der umstrittensten Werke der Filmgeschichte. Wegen seiner offenen Darstellung von Vergewaltigung, Folter und Mord wurde der Film in vielen Ländern verboten. Kurz nach seiner Vollendung wird Pasolini unter bis heute ungeklärten Umständen grausam ermordet. Alleine, in dieser unwirtlichen Umgebung lässt einen dies Bild erschaudern.
Die Reste der in den Hügeln Roms immer wieder auf- und abtauchenden Aquädukte finden sich, weiter stadtauswärts, bald zwischen den mehrstöckigen Mietskasernen der in den 60er und 70er Jahren entstandenen Neubauviertel Roms, wie Tusculano, Appio Claudio oder Centocelle – zum Teil abenteuerliche, aber auch ruhige kleinbürgerliche Quartiere, in die normalerweise kein Tourist vordringt. Auch heute beziehen die Menschen die Bögen der Aquädukte in ihr Alltagsleben ein als Lagerräume, Werkstätten, Garagen, kleine Kapellen oder Veranden.
Durch den Parco degli Acquedotti, wo sich die imposanten Bogenreihen mehrerer parallel laufender Aquädukte auf freiem Feld über längere Strecken erheben, sind es dann nur noch wenige Kilometer bis zum Stadtteil Capannelle an der Grande Raccordo Anulare, dem großen Autobahnring um Rom herum.
Eternity: im Überdauern wird Zeit greifbar.
L’eternita: nel sopravvivere il tempo diventa evidente.
Campo Verano : ein heiterer und heller Ort und zugleich ein geheimnisvoller Ort der Vergänglichkeit, Trauer und Melancholie.
Un luogho molto chiaro e ridente – e nell stesso tempo un luogho della caducita, tristezza e malinconia.
Aquädukte in Rom – wie leben die Menschen in dieser Stadt heute mit den Resten der gewaltigen Aquädukte aus römischer Zeit? Zwei Wochen lang im September 2013 habe ich die Überreste vom Zentrum bis zur Grande Raccordo Anulare erwandert.
Acquedotti di Roma – come vivano i citadini oggi con le rovine antiche, particularmente con i resti dei aquedotti. Sono qualche giorno andato a piedi dal centro fino al Grande Raccordo Anulare seguendo i vecchii corsi dei acquedotti. Non ho cercato i grandi spettacoli ma le situationi quotidiane. Qui alcuni esempii.
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Seit Jahren versuche ich, das für das deutsche Auge Spezifische im italienischen Alltag fotografisch zu erfassen. „Lo sguardo tedesco sulla vita quotidiana italiana“ heißt diese Serie, von der ich einige Beispiele hier zeige:
Lo sguardo tedesco: Da qualche anno provo di fissare il tipico della vita quotidiana italiana per gli occhi tedesci. Alcuni esempii: