Feldscheunen auf den Rodungsinseln im Nordschwarzwald
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LandLeben
LandLeben
Fotografien von
Wolfgang Meyer-Hesemann und Reinhard Zielonka
28. Januar bis 11. April 2016
Hermann Ehlers Akademie
Niemannsweg 78, 24105 Kiel
Leben auf dem Lande …
… findet heute im Spannungsfeld von Resten dörflichen Lebens, unter Schutz gestellter Natur und fortschreitender Industrialisierung der Landwirtschaft statt. Wer sich mit offenen Augen durch unsere ländlichen Regionen bewegt, findet das alles – und wird sich dem seltsamen Charme dieser im tiefen Wandel steckenden ländlich-dörflichen Welt nicht entziehen können.
Wolfgang Meyer-Hesemann ist im Frühjahr 2015 quer durch den Norden Schleswig-Holsteins von Ost nach West gewandert und hat den Wandel der Landschaft und des ländlichen Lebens fotografisch eingefangen.
Reinhard Zielonka legt sein Augenmerk auf die häufig erst beim zweiten Blick ins Bewusstsein tretende „industrielle Landschaft“, als dem vorläufigen Ende der ländlichen Entwicklungsprozesse. Hier gehts zur Homepage von Reinhard Zielonka.
Schuppen und Scheunen
Grün
Heimatfilm
„Wachsen oder Weichen!“ – Bilder vom Land-Leben zwischen Nord- und Ostsee“
Frank Trende zur Eröffnung der Ausstellung „Landleben“
Wenn ich mich ermutigt fühle, Ihnen hier heute einige Gedanken zu sagen, die mir durch den Kopf gehen, wenn ich die Fotos von Wolfgang Meyer-Hesemann und Reinhard Zielonka anschaue, dann deshalb, weil ich mich seit Jahrzehnten mit schleswig-holsteinischer Landeskunde und Kulturgeschichte beschäftige.
Ich komme selbst vom Land, bin mit und in der Landschaft an der Westküste aufgewachsen und gleichzeitig mit und in der LandWIRTschaft. Und weil ich mich mit dem Begriff, dem Bild und dem Wert von „Heimat“ beschäftige.
Es ist ja, eine Binsenweisheit, dass die Landwirtschaft Schleswig-Holsteins Phänotyp, Schleswig-Holsteins Aussehen und Ansehen gepägt hat – und das über die Jahrhunderte.
Vieles von dem, was man vielleicht für eine Naturlandschaft halten könnte, ist menschengemacht, oft aus landwirtschaftlichen Motiven, Gründen, Intentionen heraus: Die Knicklandschaft im Osten, die Marschen im Westen – sicherlich und zweifellos einmalige Lebensräume für Flora und Fauna und doch Kulturlandschaften, deren bestimmende Strukturen von Menschen angelegt sind.
Die Landschaft Schleswig-Holsteins ist ja auch nicht statisch, eingefroren, konserviert wie in einem riesigen Freilichtmuseum, sondern verändert sich, weil sich unsere Lebensweise verändert. Ob das immer zum Guten geschieht, zum Guten der Landschaft und zu unserem Besten, das ist eine zweite Frage. Aber das Aussehen unseres Landes verändert sich. Und das ganz besonders, weil auch deshalb Landwirtschaft sich verändert.
Dass ist das Verbindende, dass ist der Grundgedanke, den ich den hier ausgestellten Arbeiten von Wolfgang Meyer-Hesemann und Reinhard Zielonka entnehme.
Wenn wir mal unsere romantischen Projektionen, ausgebreitet in prächtigen Hochglanzmagazinen mit eindrucksvollen Auflagenzahlen vom schönen Landleben, von der Landlust, vom Genießen auf dem Land, von der wunderbaren Landpartie weglassen und mit nüchternem Blick auf unser Land schauen, was sieht man dann? Wenn, sagen wir mal, ein Marsmännchen mit seinem Ufo irgendwo in einem Dorf an der Treene landen würde, keinen Rucksack dabei, in dem all die schönen Vorstellungen von „Schleswig-Holstein meerumschlungen“ und „Kein schöner Land“ und vom „schönsten Bundesland der Welt“ drinstecken, was würde ihm auffallen?
Das weiß ich natürlich mit letzter Sicherheit auch nicht zu sagen.
Aber es besteht die nicht ganz unwahrscheinliche Möglichkeit, dass sie das Land so sehen, wie es Wolfgang Meyer-Hesemann und Reinhard Zielonka gesehen und auf den hier ausgestellten Bildern festgehalten haben. Diese beiden Fotokünstler sind ja auch nicht aus Schleswig-Holstein, sie kommen nicht vom Mars, aber immerhin aus Niedersachsen und aus Nordrhein-Westfalen und das ist ja auch ganz schön weit weg.
Beide haben sich unserem Land mit diesen Arbeiten neu genähert, jeder auf seine Weise:
Reinhard Zielonka lebt in Rixdorf, einem Gut bei Plön, das auf mittelalterliche Wurzeln zurückgeht und heute ein moderner land- und energiewirtschaftlicher Betrieb ist.
Wolfgang Meyer-Hesemann lebt in Achterwehr in der Nähe von Kiel und hat das Land von Schleswig nach Husum im Mai letzten Jahres auf Schusters Rappen durchquert, zu Fuß. Zu Fuß: Das bedeutet eine andere Reisegeschwindigkeit. Da nimmt man anders Kontakt mit seiner Umgebung auf, in Bodenhaftung und Schritt für Schritt.
Johann Gottfried Seume, der „berühmte Wanderer“, wie Goethe ihn nannte, war durch seinen 1802 erschienenen Reisebericht „Spaziergang nach Syrakus“ ein regelrechter Philosoph des Wanderns geworden. Er kam auch durch unsere Breiten, hierher nach Kiel und ist aus der Stadt heraus durch Düsternbrook zum Eiderkanal und seinen Schleusen gewandert – vielleicht direkt hier vor dem Haus vorbei, in seinem Buch „Mein Sommer 1805“ schildert er seine Eindrücke. Seume war klar, dass Wandern die Perspektive verändert. „Wer geht“, so schrieb er, „sieht im Durchschnitt anthropologisch und kosmisch mehr, als wer fährt …So wie man im Wagen sitzt, hat man sich sogleich einige Grade von der ursprünglichen Humanität entfernt.“
Meyer-Hesemann hat dies offensichtlich selbst ausprobiert.
Was hat er gesehen? Seinen Arbeiten zufolge hat er eine Landschaft in transitorischem Zustand gesehen und also eine Landwirtschaft in Transformation. Ich will es rundheraus sagen: Eine ganze Reihe der Aufnahmen von Wolfgang Meyer-Hesemann zeigen eine sterbende Idylle. Diese sterbende Idylle ist,
dank seiner Perspektive, dank der Komposition seiner Bilder, dank der Wahl des Bildausschnitts, auch dank seines Sinns für Ironie und Humor, seiner Schalkhaftigkeit nicht ohne ästhetische Reize.
Aber er zeigt eine sterbende Idylle: Die Dörfer, wie ich sie noch kenne, wie sie mir noch Heimat waren, weil ich so aufgewachsen bin, mit Bauernhof und in der Siedlung der Landarbeiter, mit Kaufmann und Dorfkneipe, in denen sich eine ländliche Gemeinschaft organisiert, in der sie lebt und sich entfaltet, diese Dörfer verändern sich sichtbar, weil sich unser Leben verändert:
Der Kaufmann macht zu, die Kneipe macht zu und die Tankstelle auch. Was bleibt, sind die Bushäuschen, weil die Kinder beim Warten auf den Schulbus nicht im Regen stehen sollen.
Wolfgang Meyer-Hesemann hat in dieser Bildfolge immer zwei Motive kombiniert: Eine Aufnahme eines Weges, seines Weges und dazu ein prägnantes Motiv, das ihm sprechend erschien, traurig und von bröckelndem Charme:
die bunte Glasbausteinwand, deren Farben leuchten, als sei seit 1970 nichts geschehen, als das Dorfleben noch so bunt war, wie das kuriose Mosaik der Glasbausteine,
das Vorgartenarrangement mit Pflanzenspeer, Mini-Magnolie und Terrakottakugeln als gartenkünstlerisches Eigenprodukt,
die Koniferen Wand, die keine Nachbarschaftsblicke mehr zulässt,
der aufgelassene A&0-Lebensmittel-Laden mit leeren Fenstern und geschlossenen Türen.
Und so wie die Dörfer aussehen, so ist es auch der Landwirtschaft, den landwirtschaftlichen Strukturen ergangen – der Fotograf hat es mit dokumentarischem Blick festgehalten:
Wolfgang Meyer-Hesemann hat ein Auge für die Hofanlagen, einstmals wohl tadellos in Schuss gewesen, heute ein Wellblech-Freilichtmuseum – keine Blechtafel weggeworfen, sondern immer wieder neu angenagelt, gerade da, wo der Wind her weht und durchzieht!
Nein: Es gibt hier auf diesen Bildern kein herrliches Schleswig-Holstein zu besichtigen, wie es Seume noch im 19. Jahrhundert sah und wie manch einer es sich zurückträumen mag. Diese ländliche Welt, wie wir sie noch kannten, geht unter. Und diese Landwirtschaft, familiär strukturiert, prägend für den Lebens- und den Jahreslauf, für das Dorfleben und sein soziales und ökonomisches Gefüge, geht ebenso unter.
Deshalb stimmen mich die Bilder von Wolfgang Meyer-Hesemann melancholisch, traurig und machen mir doch ganz klar: Auch vor den Toren der Stadt lebt es sich nicht mehr wie zu Zeiten von Theodor Storm, als er „Abseits“ dichtete – „Es ist so still; die Heide liegt/ Im warmen Mittagssonnenstrahle,/ Ein rosenroter Schimmer fliegt/ Um ihre alten Gräbermale;/ Die Kräuter blühn; der Heideduft/ Steigt in die blaue Sommerluft….- auch wenn manches Klischee noch heute ein solches Schleswig-Holstein-Bild zeichnen möchte.
Wo es hingeht mit der Landwirtschaft, das zeigen die Bilder von Reinhard Zielonka. Er hat seinen Arbeiten den Text eines Volksliedes vorangestellt, dass Sie alle kennen:
„Im Märzen der Bauer die Rösslein anspannt/ er setzt seine Felder und Wiesen instand/ er pflüget den Boden, er egget und sät/ und rührt seine Hände früh morgens und spät.“ Das Volkslied stammt aus Böhmen, etwa aus jenen Jahren, in denen Theodor Storm seinen Schimmelreiter schrieb, um 1880.
Ist es romantisch? Ist es ironisch, das zu lesen, wenn man dann Zielonkas Bilder anschaut? Auf ihnen ist weder Bauer noch Rösslein zu sehen. Sie zeigen vielmehr eine ganz anderes Landleben, eine andere Landwirtschaft, eine industrialisierte Landwirtschaft mit riesigen Maschinen, mit Silos, mit Stromkabeln, mit Biogasanlagen. Sah man bei Wolfgang Meyer-Hesemann noch Bilder, die Grün-Studien, Farbstudien und botanische Tiefenbohrungen gleichermaßen waren, Grün in allen Tönen, Gräser in allen Variationen, unübersehbare Vielfalt auf einem Quadratmeter, so sieht es bei Zielonka anders aus:
Rotkohl stößt auf Wirsing,
Raps auf Mais – soweit das Auge des Fotografen reicht.
Nichts anderes mehr. Felder sind hier eigentlich kein Leben mehr, sondern Plantagen, Zielonka sagt „Wüsten“ dazu.
Reinhard Zielonkas Bilder sind Gegenbilder zu Meyer-Hesemanns, zwei Seiten ein-und-derselben Medaillie. Wie der bildkünstlerische Ausdruck zu dem Satz, den uns in seiner ganzen Tragweite und Komplexität aktuell Landwirtschaftsminister Robert Habeck immer wieder vor Augen stellt und mit dem große Teile der Gesellschaft, der Politik, der Verbraucherinnen und Verbrauchen sich offenbar abgefunden haben, mit dem „wir“ uns offenbar abgefunden haben: „Wachse oder weiche“.
Auf seiner Wanderung hat Meyer-Hesemann die Landschaft, die Landwirtschaft gesehen und erkundet, der nichts anderes übrigblieb, als zu weichen.
Reinhard Zielonka zeigt uns nun das Wachsen: Oder besser: Produzieren. Riesige Traktoren, riesige Sämaschinen, Spritzmaschinen, Mähmaschinen. Und das Korn kommt dann nicht mehr zum Müller, sondern in die riesigen Silos, die wie Raketensilos, wie Raumschiffe in der Landschaft stehen. Und dann kommt irgendwann der LKW von der Getreide AG und holt die Ernte ab.
Getreide AG: Hier hat Zielonka seine Kritik zeichenhaft in einem Motiv verdichtet, denn wer assoziiert da nicht sofort die unfassbare weltwirtschaftliche Entwicklung, Lebensmittel zu Spekulationsobjekten zu machen?
Reinhard Zielonkas Bilder sind plakativ und sie sind doch doppelbödig, sie geben ihre tiefere Botschaft erst auf den zweiten Blick preis.
Als ich mir in der letzten Woche die Bilder hier angeschaut habe, wirkte die Ausstellung in mir noch nach.
Ich war irgendwie melancholisch gestimmt.
Ich dachte: So kann es doch nicht weitergehen mit unserer Landwirtschaft und mit unserer Landschaft. Wer es gut meint mit Schleswig-Holstein, der muss an den großen landwirtschaftspolitischen Stellschrauben drehen.
„Landleben“ verspricht die Ausstellung zu zeigen. Und ich dachte: Richtiges Land-Leben ist auf den Bildern nicht zu sehen.
So habe ich die Fotoarbeiten von Wolfgang Meyer-Hesemann und Reinhard Zielonka für mich in erster Linie als Fragen verstanden, Fragen, die mit fotokünstlerischen Mitteln gestellt sind.
Frank Trende, geb. 1963, Autor zahlreicher Beiträge und Bücher zur schleswig-holsteinischen Landeskunde und regionalen Kulturgeschichte.