Game over

B-fragt Wolfgang Meyer-Hesemann & Thomas Judisch:

Game over?

Fotografien Wolfgang Meyer-Hesemann – Skulpturen Thomas Judisch

(Die Einführungsrede von Ute Dietz s. unten)

„Martyrium“

„Level failed“ (Angry Birds Go)

„Condemned to Death“

 

Blicke in die Ausstellung:

Liebe Gäste, liebe Freunde des Kunstraum B,
lieber Wolfgang, lieber Thomas,
Herzlich Willkommen zur aktuellen Ausstellung. Herzlich Willkommen zu einem neuen Kunst-Battle.
GAME OVER? Zu Beginn seiner Verwendung kennzeichnete „Game over“ das Ende eines Computerspiels. Interessant dabei ist, dass dies unabhängig davon war, ob der Spieler verloren oder aber eben auch gewonnen hatte. Später bezeichnete „Game over“ hauptsächlich das Scheitern des Spielers wobei man aus marktstrategischen Gründen schnell auf die Idee kam, das Spielende wegen Misserfolgs durch Wiederbelebung der Spielfiguren oder Extraleben hinauszuzögern.
Einen Fußball, mit dem man nicht spielen kann, und zwar nicht etwa, weil ihm die Luft fehlt, wie man auf den ersten Blick zu erkennen glaubt, sondern weil er aus einem nicht zum Spielen geeigneten Material – nämlich zweifarbiger Keramik – geschaffen wurde, mit „Game over“ zu betiteln, ist ein direkter Hinweis auf die Vergänglichkeit von Leichtigkeit. Oder symbolisiert er vielleicht schlicht die normalen Prozesse des Lebens? Neues Spiel, neues Glück. Was soll’s.
„Der Gedanke an die Vergänglichkeit aller irdischen Dinge ist eine Quelle unendlichen Leids und eine Quelle unendlichen Trostes“, postulierte Marie von Eber-Eschenbach. Und mit seiner Arbeit Game Over macht Thomas Judisch uns dies auf herrlich leichte Weise deutlich. Seine Arbeiten, so ein Zitat aus einer Presseankündigung, seien immer mit einem gewissen Schmunzeln zu lesen. Der 1981 in Waren an der Müritz geborene Thomas Judisch studierte zunächst in Kiel an der Muthesius Kunsthochschule bei Elisabeth Wagner Bildhauerei und machte eben dort sein Diplom. Danach wurde er Meisterschüler von Eberhard Bosslet an der Akademie der Bildenden Künste in Dresden. Mit zahlreichen Gruppen- und Einzelausstellungen im In- und Ausland ist er ein wahrer Workaholic, ein Künstler mit einer Passion.
Demgegenüber steht, nicht weniger beeindruckend, Wolfgang Meyer-Hesemann, 1952 geboren mit einem Lebenslauf zum „Schwindeligwerden“. Studium der Rechtswissenschaften und Philosophie, Promotion und Tätigkeit als Richter, Verwaltungsbeamter und Staatssekretär. Danach: ehrenamtliche Tätigkeiten im Kulturbereich und Arbeit als freier Fotograf; Autodidakt und bestes Beispiel dafür, was man mit Selbststudium und Eigenregie schaffen kann.
Seine Arbeit „Condemned to Death“ von 2015 tritt in direkten Dialog mit Game over… und das nicht nur formal-ästhetisch, sondern auch inhaltlich. Die schwarzweiß Prints zeigen einen verwaisten Ort in unmittelbarer Nähe zu einem Braunkohletagebau. Die Menschen die dort lebten, wurden aufwändig umgesiedelt und hinterließen ein Geisterdorf. Game over! Oder doch nicht? Denn warum schützt man Häuser gegen Vandalismus, wenn ihre Besitzer längst ein neues Haus gebaut bekommen haben und nie wieder zurückkehren werden? Am Ende sind es aber vor allem diese zum Schutz dort angebrachten schwarzen Platten in den Fenstern, die dem Ort ein besonders Merkmal und den Bildern zusammen mit der gezeigten Architektur samt Schatten ihren typischen Charakter geben.
Das Zusammenspiel der beiden Arbeiten war, so die beiden Künstler, war Ausgangspunkt für die Ausstellung und ist für mich ein beeindruckendes Beispiel für die Zusammenarbeit im Rahmen dieses Ausstellungsformates. Denn erst im Laufe der Zusammentreffen mit gegenseitigen Atelierbesuchen, inklusive Zwischenphasen und gegenseitigem Ausbremsen – im Sinne vom: am Kern bleiben – hat sich die Ausstellungsidee entwickelt. Und es zeigt sich auch eine außerordentliche Professionalität, die beiden benannten Arbeiten entgegen der anfänglichen Überlegung nicht im großen, sondern im kleinen Raum, den architektonischen Elementen im Außen- und Innenraum angepasst, zu zeigen.
Der neuen Verortung folgten dann auch die [hier] vorn gezeigten Arbeiten „Martyrium“ von Wolfgang und „Schweigen ist Gold“ von Thomas. Erstere zeigt vom Zerfall gezeichnete Statuen in Form von schwarzweiß Fotografien, letztere Reliefs in Gipsplatten, die teils noch feucht und damit – eine neue Ära andeutend – bühnenartig ein bedeutungsvolles Zusammenspiel mit den schwarzweiß Kopien bilden. Das Spiel von Sein und Werden, könnte der Titel des hier gezeigten Stücks sein. Von Goethe stammte der Satz „Das Vorübergehende macht das Dauernde immer schöner“. Oder woher stammt unsere Faszination von Vergangenheit und Zerfall?
Den in dieser Installation gezeigten Einzelstücken lässt Thomas Judisch eine für diese Ausstellung gefertigte Edition von 12 „Faustreliefs“ folgen und nennt das Ganze kurzerhand „Hallelujah“. Herrlich pointiert und humorvoll polemisch. So erzählen auch die 12 Keulen in derselben Ecke mit dem Titel „Herakles von Hellersdorf“ auf erstaunlich ästhetische aber gleichwohl brutale Weise Herakles heldenhafte Geschichten bezogen auf die heutige Zeit.
„Die Vergangenheit ist nicht mehr, die Zukunft noch nicht; die Gegenwart aber, in der wir uns stets befinden, ist nur der Ausdehnungslose Umschlagspunkt, in dem Zukunft zur Vergangenheit wird.“ Wie kann also etwas überhaupt gegenwärtig sein? „Das Problem der Zeit ist das Problem des Seins.“ Das Unbegreifliche daran ist die Vorstellung, dass überhaupt etwas sein kann. Und dies „fühlbar zu machen, ist nach Ansicht des französischen Philosophen Jean-Francois Lyotard die eigentliche Aufgabe der Kunst“. Der Fokus liegt dabei seiner Meinung nach vor allem auf dem Unbestimmten, Nichtfassbaren des Werks. „In Erinnerung an das uns schon Bekannte haben wir bei allem, was geschieht, bestimmte Vorstellungen davon, wie es weiter geht.“ 1
Und dies führen die beiden Künstler uns hier beachtlich und wirksam vor. Und dies ist es, was uns alle ausmacht. Denn nur durch Fremderfahrung gelangen wir zur Selbsterfahrung und werden somit zu dem, was wir sind, Menschen.
In den beiden Bronzeplastiken mit dem Titel „Broken Dreams“ beweist Thomas uns seinen Blick für das Besondere im Alltäglichen. Auf dem Weg zu einer Operation kam ihm die Idee, Gipsverbände in Bronze zu gießen. Diese an ihren Schnittstellen polierten und oberflächlich patinierten Hohlkörper zeigen – in sich – einen Kontrast zwischen edel und schroff. Durch das Fehlen der Figur fragt man sich unvermittelt: Was ist passiert?
Und nicht nur farblich gliedert sich die von Wolfgang eigens für diese Ausstellung gefertigte Edition von 12 Fotografien mit dem Titel „Level Failed“ eindrucksvoll in das Gesamtbild einer auf den ersten Blick homogenen in Graustufen gehaltenen Schau. Game over?
Spielen ist keine Kunst, aber Aufhören.
Auch von Goethe stammte folgender Dialog, mit dem ich die Ausstellung für eröffnet erklären möchte: „Warum bin ich vergänglich?“ fragte die Schönheit. „Nur das Vergängliche ist schön“, antwortete Gott.
1 Michael Hauskeller, Was ist Kunst? – Postitionen der Ästhetik von Platon bis Danto, S. 93

Ende